Nachruf zum Tode der Landesvorsitzenden

In tiefer Trauer nimmt der Lebenshilfe-Landesverband Bayern Abschied von seiner Landesvorsitzenden Barbara Stamm. Die frühere Präsidentin des Bayerischen Landtags und bayerische Sozialministerin ist am 5. Oktober 2022 im Alter von 77 Jahren in ihrem Heimatort Würzburg verstorben. Ein Nachruf

Ausgezeichnetes Engagement: Barbara Stamm (Mitte) erhält im Jahre 2019 die Goldene Ehrennadel der Lebenshilfe Bayern - überreicht von Hildegard Metzger (links) und Gerhard John (rechts) (Archivfoto: LHB - Anita Sajer)

Ausgezeichnetes Engagement: Barbara Stamm (Mitte) erhält im Jahre 2019 die Goldene Ehrennadel der Lebenshilfe Bayern - überreicht von Hildegard Metzger (links) und Gerhard John (rechts) (Archivfoto: LHB - Anita Sajer)

Sozialpolitik und Ehrenamt

Barbara Stamm war von 2001 bis zu ihrem Tode Vorsitzende des Lebenshilfe-Landesverbandes Bayern. Davor und während ihres Vorsitzes hatte sie verschiedene politische Ämter inne: Mitglied des Bayerischen Landtags (1976-2018), Staatssekretärin im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit (1987-1994), Staatsministerin im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit (1994-2001), Erste Vizepräsidentin des Bayerischen Landtages (2003-2008) und Präsidentin des Bayerischen Landtags (2008-2018).

Ausgezeichnetes Engagement

Ihr vielfältiges Engagement spiegelt sich in der Bandbreite ihrer Ehrungen und Auszeichnungen wider, wie das Bundesverdienstkreuz am Bande (1990), die Medaille für besondere Verdienste um Bayern (2004), der Bayerische Verdienstorden (2015), Ehrenbürgerin der Stadt Würzburg (2019) sowie die Bayerische Sozialmedaille (2022) – um hier nur einige der vielen Auszeichnungen zu nennen. Auch bei der Lebenshilfe hat Barbara Stamm für ihr außerordentliches Engagement höchste Auszeichnungen erhalten, wie die Goldenen Ehrennadeln der Bundesvereinigung Lebenshilfe (2012) und des Lebenshilfe-Landesverbandes Bayern (2019).

Einsatz für Menschen mit Behinderungen

Barbara Stamm engagierte sich seit vielen Jahrzehnten – bereits vor ihrer Zeit als Landesvorsitzende – persönlich und politisch für die Belange und Rechte von Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen. Dabei hat sie denen eine Stimme gegeben, die in der Gesellschaft oft übersehen und nicht gehört werden. Barbara Stamm hat den Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen aufrichtig zugehört, und vor allem hat sie sich immer die Zeit dafür genommen – egal wie viel Termine sie hatte und egal wie groß oder klein das Anliegen war. Sie hat die Ängste, Nöte und Sorgen immer ernst genommen.

Zielstrebig nach Lösungen gesucht

Unermüdlich mit einer Mischung aus Herzlichkeit und Hartnäckigkeit sowie mit einer bewundernswerten Zielstrebigkeit und Klarheit hat sie nach Lösungen gesucht, immer im Sinne der Menschen, und sie hat erst lockergelassen, wenn gute Lösungen für die Menschen erreicht wurden. In Zeiten der Corona-Pandemie etwa wollte Barbara Stamm sich nicht damit abfinden, dass Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige bei der Impfverordnung zunächst vergessen wurden, und hat dafür gesorgt, dass die Menschen entsprechend berücksichtigt wurden.

Lebenshilfe Bayern über 20 Jahre geprägt

Ihr Wirken hat in der Lebenshilfe-Familie und auch in weiteren sozialen Bereichen tiefe Spuren hinterlassen. Mit ihrer Wertschätzung, ihrer Herzlichkeit und ihrer Empathie gegenüber den Menschen hat sie die Lebenshilfe zutiefst geprägt. Mit dieser Haltung haben die Menschen sie für ihre Authentizität geschätzt, persönlich gemocht und ihr anvertraut, was ihnen auf dem Herzen lag. Wie die verzweifelten Eltern, die fragten: Was ist mit unserem Kind mit Behinderung, wenn wir selbst nicht mehr können?

Hilfe und Entlastung für Familien

Barbara Stamm wollte diesen Eltern Gewissheit geben, dass ihr Kind gut versorgt ist, einen Ort zum Leben hat. Einen Ort, an dem sich ihr Kind zuhause und wohlfühlt. So hat sie sich in den letzten Jahren insbesondere auch für Wohnraum und die Weiterentwicklung von Wohnangeboten für Menschen mit Behinderungen eingesetzt. Entlastung für Familien, Wohnraum für Menschen mit Behinderungen und der gleichberechtigte Zugang zum Gesundheitswesen sind nur einige der vielen Themen, für die sich Barbara Stamm in den vergangenen Jahren stark gemacht hat.

Herzensprojekt Familienfreizeit

Eines ihrer Herzensprojekte war die Familienfreizeit im Bayerischen Wald, um Familien mit Kindern mit Behinderungen zu entlasten, wirklich zu entlasten. Die Familienfreizeit bietet den Familien die Möglichkeit, endlich einmal die Seele baumeln zu lassen und Kraft zu tanken, so war es die Intention von Frau Stamm.

Teilhabe statt Bürokratie

Die Umsetzung des Bundes-Teilhabe-Gesetzes im Sinne der Menschen war ebenso ein Thema, das Barbara Stamm intensiv vorantrieb. Für sie war klar, dass die Teilhabe niemals daran scheitern dürfe, was uns das als Gesellschaft kostet. Stattdessen war Barbara Stamm zutiefst davon überzeugt, dass Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige nicht am Rand der Gesellschaft stehen dürfen, sondern dass es ein Recht und eine Selbstverständlichkeit ist, dass sie mittendrin und mittendabei sind. Auch war der Bürokratieabbau eines ihrer Aufträge, die Barbara Stamm als Landesvorsitzende der Lebenshilfe Bayern gemeinsam mit der Politik erreichen wollte. Zuviel Bürokratie nimmt wertvolle Zeit für die Menschen weg, die diese brauchen, so ihre feste Überzeugung.

Mittendrin und Mittendabei

Mittendrin und mittendabei – das war Barbara Stamm selbst in der Lebenshilfe-Familie. Ob bei Ehrungen für langjähriges Engagement, bei Verabschiedungen von Vorständen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei Jubiläumsfeiern der Mitgliedsorganisationen, Barbara Stamm ließ es sich nicht nehmen, bei allem vor Ort mittendrin, mittendabei und unter den Menschen "bei die Leud" zu sein. Es war ihr einfach wichtig, die Lebenshilfe und deren Einrichtungen bei besonderen Anlässen zu besuchen, um den Menschen vor Ort ihre Wertschätzung und Anerkennung für ihr Engagement zu zeigen.

Lebenshilfe als Elternverband

Für Barbara Stamm war insbesondere das Alleinstellungsmerkmal der Lebenshilfe, ein Eltern- und Selbsthilfe-Verband zu sein. Das ehrenamtliche Engagement von Menschen, die selbst davon betroffen sind, machte die Lebenshilfe für Barbara Stamm erst glaubwürdig und wahrhaft. Die Gemeinschaft und der starke Zusammenhalt waren für Barbara Stamm nicht nur unersetzlich, sondern auch die Stärken der Lebenshilfe-Familie.

Gespräche und Begegnungen

Selbst nach einem langen und harten Arbeitstag saß Barbara Stamm für gemeinsame Gespräche und persönliche Begegnungen mit einem Schoppen guten Wein aus ihrer fränkischen Heimat bis in die frühen Morgenstunden. Wie wichtig ihr diese Begegnungen sowie der Zusammenhalt waren, konnte man auch bei vielen Veranstaltungen des Lebenshilfe-Landesverbandes erleben. Barbara Stamm genoss, ja liebte es, mit der gesamten Lebenshilfe-Familie und ihren Weggefährten zu feiern – wie bei den Jahrestagungen in ihrer Amtszeit und nun zuletzt im Sommer 2022 beim Staatsempfang zu unserem 60-jährigen Jubiläum in der Würzburger Residenz mit anschließender Feier der Lebenshilfe-Familie im Hofkeller.

Kämpferin mit Herzenswärme

Mit Barbara Stamm verliert die Lebenshilfe eine mutige Kämpferin, die sich mit viel Herzenswärme unermüdlich für die Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige sowie für die Lebenshilfe eingesetzt hat. Über 20 Jahre lang hat sie die Lebenshilfe Bayern mit ihrer Persönlichkeit geprägt, ihr ein Gesicht und eine Stimme gegeben. Mit ihrer Zielstrebigkeit, Klarheit und Durchsetzungskraft hat Barbara Stamm unglaublich viel für die Lebenshilfe Bayern sowie für die Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen bewegt. Ihr Tod hinterlässt bei der Lebenshilfe Bayern, in der Gesellschaft und in der Politik eine große Lücke.  

Tiefe Trauer und Dankbarkeit

Der Lebenshilfe-Landesverband Bayern wird Barbara Stamm mit ihrem großen Herzen und ihrem Mut, Dinge verändern zu wollen, schmerzlich vermissen. Auch werden wir alle die gemeinsamen Gespräche und Begegnungen sowie die langen Abende mit ihr entbehren. Der Lebenshilfe-Landesverband verneigt sich in tiefer Dankbarkeit vor ihrem Lebenswerk und ist in Gedanken und mit aufrichtiger Anteilnahme bei ihren Hinterbliebenen.

Vorstand und Geschäftsführung
für die bayerische Lebenshilfe-Familie

Traueranzeige der Lebenshilfe Bayern in der "Süddeutschen Zeitung" vom 8. Oktober 2022 auf der SZ-Gedenkseite mit digitalem Kondolenzbuch und Gedenkkerzen.